Im kolumbianischen Zipaquirá haben Minenarbeiter eines der größten Gotteshäuser der Welt geschaffen - aus Salz. 8.600 Menschen finden Platz in der unterirdischen Kathedrale, die in ihren Ausmaßen dem Kölner Dom kaum nachsteht VON MARC GOERGEN
Schon nach wenigen Metern ist es kühl und dunkel. Der Weg führt leicht nach unten, Halbringe aus verrostendem Eisen stützen den Stollen. Gut 50 Meter weiter tritt Salz aus den Wänden, überzieht das Gestein mit weißen Kristallen. Dann, nach einer Biegung, taucht plötzlich ein Seitengang auf, weißblau beleuchtet. Darin ein massives Kreuz: gut vier Meter hoch und zwei Meter breit. Die erste Station des Kreuzwegs. Die erste Station zur Salzkathedrale im kolumbianischen Zipaquirá - gut 200 Meter unter der Erde. Sechs Jahre lang, von 1989 bis 1995, haben die Minenarbeiter von Zipaquirá, gut eine Stunde südlich von Bogotá, mit Presslufthämmern, Dynamit und Wasser rund 250.000 Tonnen Salzgestein aus dem Bergwerk gelöst und an die Oberfläche geschafft, um so einen sakralen Hohlraum zu schaffen, der nur wenig kleiner ist als der Innenraum des Kölner Doms: Das Mittelschiff misst 120 Meter, die beiden Seitenschiffe 75 Meter. Vier gewaltige Säulen mit einem Durchmesser von zehn Metern, sie symbolisieren die Evangelisten, tragen das 16 Meter hohe Gewölbe. Neben wenigen Scheinwerfern und Kerzen ist ein 16 Meter hohes Kreuz im Chor die einzige Lichtquelle im Raum. Doch was aus der Entfernung wie ein massiver Leuchtkörper wirkt, ist lediglich ein in das Gestein geschlagener Hohlraum, geschickt ausgeleuchtet. Schwach reflektiert das grauschwarze Salzgestein der Seitenwände das Licht des Kreuzes, erzeugt eine mystische Stimmung. Im Seitenschiff rinnt Grundwasser über einen versteinerten weißen Wasserfall aus Salzkristallen in das Taufbecken. Der Bau scheint einmalig - doch er ist es eigentlich nicht. Denn nur knapp 50 Meter über und 500 Meter weiter südlich befindet sich die alte Salzkathedrale von Zipaquirá - ein mehr oder minder zufälliges Produkt jahrhundertelangen Salzabbaus. Schon die Ureinwohner aus dem Volk der Muisca durchspülten vor gut 13.000 Jahren das salzhaltige Gestein von Zipaquirá mit Wasser, kochten die Sole in Terracotta-Töpfen und gewannen so Salz - zum Eigenverbrauch und zum Handel. Über Jahrtausende änderte sich nur wenig an der Arbeitsweise. Erst Alexander von Humboldt revolutionierte den Salzabbau in Zipaquirá. Auf seiner Reise durch Südamerika besuchte er 1801 das kolumbianische Hochland, untersuchte die geologische Struktur des Gesteins und riet den Besitzern der Salzbergwerks, nicht mehr nur oberirdisch zu schürfen, sondern auch unterirdisch zu graben, um so an reinere Kristalle zu gelangen. In den nächsten Jahrzehnten ließen Ingenieure Dutzende von Stollen in den Salzstock treiben. Hatten die Arbeiter das Salz in einer Schicht abgebaut, gruben sie ein Stockwerk tiefer weiter. So schufen sie in 150 Jahren ein Labyrinth aus Gängen und Gewölben, durchlöcherten den Berg wie einen Schweizer Käse. Bald schon legten sie in stillgelegten Stollen Kapellen an, in denen sie sich vor der Arbeit und an Sonntagen zum Gottesdienst trafen. Dies - und touristischer Instinkt - brachte die Ingenieure und Politiker in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf die Idee, die Schichten zwischen einzelnen Stollen im Salzstock herauszusprengen und so einen einzigen gigantischen Saal anzulegen: eine Kathedrale. Millionen Kolumbianer besuchten über Jahrzehnte die unterirdische Kirche. Doch der Bau lag zu nahe an der Oberfläche. Sickerwasser drang in die Gewölbe und Säulen ein, das Gotteshaus drohte einzustürzen. 1989 begannen die Arbeiten für ein neue Kathedrale. Minenarbeiter sägten den 22 Tonnen schweren Salz-Altar in drei Teile, verfrachteten ihn, ebenso wie das Taufbecken und die Kanzel, in die neue Kathedrale. 1996 eröffnete der kolumbianische Präsident Ernesto Samper das neue Gotteshaus. Heute besuchen jährlich über 200.000 Besucher als Touristen oder zum Gottesdienst die unterirdische Anlage. Höhepunkt des Andrangs ist die Osterwoche, die Semana Santa. Allein am Karfreitag im letzten Jahr bestaunten 13.000 Menschen das Salzgewölbe. Ihre Eintrittsgelder sind mittlerweile für die Minengesellschaft ebenso wichtig wie die Erlöse aus dem Salzexport. Auch für Konzerte wird der neue Bau vermietet. Denn vom Salzabbau alleine kann Zipaquirá schon lange nicht mehr leben. Gerade mal 32 Kumpel arbeiten heute noch in der Mine - zu wenig, um das Gotteshaus zu füllen. INFORMATION: Busse zur Catedral de Sal fahren von der Puerte de Norte in Bogotá alle zehn Minuten. Die Fahrt dauert etwa eineinhalb Stunden und kostet 2.200 Pesos (80 Cent). Öffnungszeiten: Montag bis Samstag: 9-16 Uhr, Sonntag 9-18 Uhr. Eintritt: 10.000 Pesos (3 Euro) taz Nr. 7577 vom 29.1.2005, Seite 30, 154 Zeilen (TAZ-Bericht), MARC GOERGEN Quelle: TAZ http://www.taz.de/pt/2005/01/29/a0242.nf/text.ges,1