Atommüllendlager bei Wolfenbüttel wird mit Salzstaub und Schotter verschlossen
Der Förderkorb rumpelt mit einer Geschwindigkeit von zehn Metern pro Sekunde nach unten. Irgendwo schrillt eine Glocke, das wacklige Gefährt bremst ab, dann öffnet sich die schwere Gittertür, und die Besucher stolpern in eine unterirdische, etwa zehn Meter hohe Halle. Die wuchtigen Wände und Decken aus Salzgestein schimmern im trüben Neonlicht. »Fast wie Edelsteine sieht das aus«, sagt einer.
Wir sind 490 Meter tief, es ist 29 Grad Celsius warm. Wir stehen auf der obersten Sohle im Bergwerk Asse II. Nach jahrzehntelangem Betrieb wird das »Forschungsendlager« jetzt geschlossen. Die hier eingelagerten radioaktiven Abfälle müssen sicher von der Umwelt ferngehalten werden – und zwar für eine ewig lange Zeit. Stoffe wie Jod-129 sind erst nach 16 Millionen Jahren zur Hälfte zerfallen.
Ein riesiges Rohr hat feinen Salzstaub in einen Hohlraum von der Größe eines Kirchenschiffs auf die am Boden lagernden Atommüllfässer gepustet. Ingenieur Jürgen Möller, der die Gäste durch das Bergwerk führt, formt seine Hände zu einem Trichter. »Wir machen die Asse für alle Zeiten dicht«, schreit er gegen den Lärm der Gebläse an. Die 2,5 Millionen Tonnen Salzstaub, die in Güterwaggons vom ehemaligen Kali-Bergwerk Ronnenberg bei Hannover herbeigeschafft und in die 150 Kammern der Asse geblasen wurden, stellen nur eine erste Barriere gegen die strahlenden Abfälle dar.
»Das geht dann nach dem Sandwich-Prinzip weiter«, beschreibt Möller das Abdicht-Konzept. Mit wechselnden Schichten aus Asphalt und Schotter, aus Beton und Bitumen wollen die 120 verbliebenen Beschäftigten das Bergwerk in den kommenden Jahren füllen. Nach den Abbaukammern mit den Fässern kommen die Stollen und Schächte an die Reihe. Vorher müssen die Maschinen und Fahrzeuge zerlegt und an die Oberfläche geschafft werden. Im Jahr 2013 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.
Das Bergwerk Asse liegt in einem bewaldeten Höhenzug in der Nähe von Wolfenbüttel. Von 1909 bis 1964 hatten Bergleute hier Kali- und Steinsalz gefördert, ab 1965 erwarb die Bundesregierung die Grube für 700 000 D-Mark und übertrug sie der Gesellschaft für Strahlenforschung (inzwischen in Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit – GSF – umbenannt) als »Forschungsendlager«.
Der Ankündigung zum Trotz, Asse werde zunächst fünf Jahre lang auf seine Eignung geprüft, brachten Lastwagen bereits 1967 die ersten Tonnen mit radioaktivem Abfall in das Bergwerk. In den folgenden Jahren wurden insgesamt 125000 Fässer mit schwach- und 1300 Fässer mit mittelradioaktivem Atommüll eingelagert. Dabei probierten die GSF-Leute verschiedene Methoden aus, so das senkrechte oder waagerechte Stapeln der Fässer. Diese Methode erwies sich jedoch als zu zeitaufwendig und zu strahlenbelastend für das Personal, somit als zu teuer und unrentabel. Deshalb gingen die Betreiber ab 1974 zur Versturztechnik über. Bei diesem Verfahren kippen Schaufelradlader die Tonnen mit Atommüll einfach über Abhänge auf tiefer gelegene Sohlen. In einer Kammer ragen die kreuz und quer übereinanderliegenden Fässer noch aus dem Salz heraus.
Die Abfälle im Bergwerk Asse stammen aus Laboren und Krankenhäusern, aus Forschungsinstituten, Atomkraftwerken und einer Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe. In den 80er Jahren gab es auch Versuche zur Einlagerung von stark strahlendem Müll.
Ein Grubenfahrzeug bringt uns weiter in die Tiefe. Hier hat der Abgasruß der Spezial-Lkw und Planierraupen die endlos erscheinenden Gänge im Lauf der Zeit dunkelgrau gefärbt. Unablässig dringt der feine Salzstaub in Augen und Ohren, das Atmen fällt zusehends schwerer. Der »Sauerstoff-Selbstschutz-Retter«, den Bergleute und Besucher unter Tage mit sich führen müssen, ist aber nur für Notfälle gedacht. Die schwere Metallbüchse enthält Kaliumoxid, das bei Kontakt mit feuchter Atemluft für mehr als eine Stunde Sauerstoff freisetzt.
Auf einer Sohle 650 Meter unter der Erde ist plötzlich ein Plätschern zu hören. Schläuche leiten Flüssigkeit in ein Becken: Salzlauge, die schon seit Jahren aus unbekannter Quelle ins Bergwerk dringt. Zwölfeinhalb Kubikmeter sind es inzwischen jeden Tag. Bereits 1906 war es im benachbarten Schacht Asse I zu einem Wassereinbruch gekommen, in dessen Folge die Grube vollief und aufgegeben werden mußte.
Ingenieur Möller sieht in den Laugenzuflüssen kein allzu großes Problem. »Das ist in Gottes Natur ganz normal, daß Wasser in einen Salzstock läuft«, sagt er. Eine chemische Barriere aus Magnesium-Chlorid, das schwerer ist als das Natrium-Chlorid in der Salzlösung und an dessen genauer Konzentration die GSF-Wissenschaftler derzeit tüfteln, werde die Zuflüsse schon stoppen.
Die »Aktion Atommüllfreie Asse« befürchtet, daß die Lauge mit den eingelagerten Atommüllfässern in Kontakt kommt. Die Fässer könnten verrosten, radioaktive Teilchen freigesetzt werden und ins Grundwasser gelangen. Immer wieder hat die GSF versichert, eines Tages ein »sicheres und wartungsfreies Bergwerk« zu hinterlassen. Bis auf den unter Denkmalschutz stehenden Turm sollen alle oberirdischen Gebäude abgerissen werden. Die Atomgegner fordern ein atomrechtliches Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Nur wenn die Bevölkerung den Betreibern und Behörden auf die Finger sehe, werde auch sicher gearbeitet, argumentieren sie.
Quelle: Junge Welt http://www.jungewelt.de/2005/01-11/014.php