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Bohrende Fragen nach der Zündquelle
Zwickauer Grubenunglück: Nach 45 Jahren wird abermals Ursachenforschung betrieben 
 
Von Hendrik Lasch 
 
Am Rosenmontag 1960 ereignete sich in Zwickau das schwerste Bergwerksunglück in der DDR. 123 Kumpel im Karl-Marx-Werk starben. Jetzt sollen Akten offene Frage klären helfen.


Am 22. Februar 1960 um 8.20 Uhr wurde die Steinkohlengrube des Karl-Marx-Werks am Zwickauer Brückenberg von einer schweren Explosion erschüttert. In den Tiefen des Berges hatte sich eine Mischung aus Methan und Kohlenstaub entzündet – mit katastrophalen Folgen. Von den 178 Bergleuten der 1. Kohleabteilung verloren 123 ihr Leben. In einem 2,5 Kilometer langen Stollenabschnitt war die Hitze so groß, dass die Strecke vier Tage später von der Grubenwehr versiegelt und erst nach einem Jahr wieder geöffnet wurde.


Das Unglück im Zwickauer Revier, in dem seit 630 Jahren Steinkohle gefördert wurde, war das schwerste im Bergbau der DDR. Entsprechend schnell und intensiv wurde nach Ursachen gesucht. Die Regierung setzte eine Expertenkommission ein; das Ministerium für Staatssicherheit stellte Untersuchungen an; SED-Instanzen und Gewerkschaft berichteten. Trotzdem, sagt Dietmar Vettermann, Oberbürgermeister der westsächsischen Stadt, sei »die bittere Wahrheit bis heute nicht hundertprozentig ans Licht gekommen«.


Schon am 19. März 1960 erschien im »Neuen Deutschland« (Faksi) ein erstes Resümee des Ministerrates. In dem Bericht, der stark auf die »ständigen Grubenkontrollen« und »modernste Geräte und Mittel« im DDR-Bergbau abstellt, um Zweifel an den Sicherheitsstandards auszuräumen, wird auf das explosive Gemisch und Gebirgsbewegungen verwiesen. »Die Zündquelle, die die Explosion auslöste«, heißt es, »konnte jedoch bisher nicht ermittelt werden.«


An diesem Kenntnisstand habe sich bis heute nichts geändert, sagt Klaus Hertel, Vorsitzender des Zwickauer Steinkohlenbergbauvereins. Der 1989 gegründete Verein lud gestern zum alljährlichen stillen Gedenken auf den Zwickauer Friedhof. Dort steht seit 1962 ein Stein mit den Namen von 17 Bergleuten, die nicht geborgen oder zweifelsfrei identifiziert werden konnten. 150 ehemalige Bergleute und Familienangehörige kamen. Viele von ihnen, sagt Hertel, würden noch immer von der Frage nach dem Auslöser des Unglücks umgetrieben.


45 Jahre nach der Katastrophe sollen die Nachforschungen jetzt noch einmal intensiviert werden. Auslöser sind Aktenfunde des Journalisten Hans Häber, der bei der Bundesbehörde für die MfS-Unterlagen rund 1300 Seiten an Berichten und Dokumenten entdeckte. Die Stasi habe das Unglück »von der ersten Minute an akribisch und detailliert untersucht«, sagt Häber. Kein Wunder, sagt Silvia Teichert, Leiterin des Zwickauer Stadtarchivs: »Das Unglück erschütterte die Stadt und die Gesellschaft.« Zudem, ergänzt Hertel, habe man »auch Feindeinwirkung nicht ausgeschlossen«.
Die jetzige Suche gleicht einem »Puzzlespiel«, sagt Teichert. Neben den Stasi-Akten gibt es 40 Bände mit Berichten der SED-Kreis- und -Bezirksleitungen und sieben Bände der Bergbehörden, die im Bundesarchiv liegen. Manche sind schwer zugänglich. Ob der abschließende Bericht der Regierungskommission von 1962 noch existiert, ist ebenso offen wie die Frage, ob die Ermittlungen von Regierung und MfS zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Journalist Häber deutet an, die Stasi könne die Experten »beeinflusst« haben. Bergmann Hertel glaubt dagegen, sie habe nach zweijähriger Untersuchung angesichts der Stimmungslage in Zwickau lediglich darauf gedrungen, endlich einen abschließenden Bericht zu veröffentlichen.


Mit gemischten Gefühlen sehen die Bergleute und ihre Angehörigen vor allem Aussagen zur möglichen Schuld einzelner Kumpel entgegen. Der Stasi-Bericht lege »menschliches Versagen« nahe, sagt Häber. Eine Recherche des MDR hatte vor zwei Jahren angedeutet, bei Schießarbeiten sei fahrlässig gehandelt worden. Allerdings waren zwei Schießmeister unter Tage. Die Stadt, die erst in den nächsten Wochen Einsicht in die Unterlagen erhält, mahnt denn auch zu äußerster Vorsicht bei der Bewertung und zum Abgleich aller Quellen. Auch der Bergmannsverein warnt vor verfrühten Schuldzuweisungen: »Das ist noch immer ein sehr sensibles Thema.«


Gleichzeitig sind die Kumpel aber daran interessiert, wilde Spekulationen zu begraben, die von Kabelschäden bis zu Fahrlässigkeit reichen, die dem Faschingsmontag geschuldet waren. Die Formel von der »Verkettung unglücklicher Ursachen« sei nicht befriedigend, sagt Hertel. In den nächsten Monaten werden daher Berge von Akten gewälzt werden. Zum 46. Jahrestag sollen Ergebnisse vorgestellt werden. »Wir möchten wissen«, sagt der Bergmann, »was die Zündquelle war.«