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Museum in Wettelrode bietet Erkundungstour quer durch den Berg

 

Halle/MZ.  Mit einem kurzen Ruck setzt sich der enge Käfig abwärts in Bewegung. Langsam wird es dunkler. Der helle runde Punkt wird kleiner und kleiner, ist schon nach wenigen Sekunden nur noch zu erahnen, bis er schließlich ganz verschwindet. Die fahlen Lichtkegel der Grubenlampen, die am Helm befestigt sind, irrlichtern aufgeregt an den grauen Wänden des Förderkorbes. Alle sind mit sich selbst beschäftigt, versuchen, den Druck in den Ohren loszuwerden, während es 283 Meter in die Tiefe geht.

Täglich fahren Touristengruppen in den Röhrigschacht in Wettelrode ein, das Schaubergwerk erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Doch diese Tour ist anders. Sie beginnt dort, wo für den Schauschacht-Besucher die Verbotsschilder beginnen. Sie soll weit in den Berg hineinführen, in die engen Stollen, die jahrhundertelang in den Berg getrieben worden.

Ziel dieser besonderen Führung ist die Elisabethschächter Schlotte. Ein riesiger Hohlraum aus Gips. Ein langer und beschwerlicher Weg ist es dorthin. "Hat jemand Platzangst?" Erich Hartung beendet die stillen Minuten just in dem Moment, als der Förderkorb langsamer wird und plötzlich still steht. Hartung führt die Gruppe. Der 51-Jährige hat selbst 16 Jahre unter Tage gearbeitet, kennt sich aus wie in seiner Westentasche. Es ist eine Tour hinunter in die Stollen des Altbergbaus. Es ist eine Entdeckungsreise und ein Zeitsprung zugleich. Die Geschichte dieser Region ist hier zu Hause, hier tief unter der Erdoberfläche - im Kupfer.

Seit um 1199 die Bergleute Napian und Neuke in der Gegend Kupfererz gefunden haben sollen, wird dort Bergbau betrieben. Nach der Wende schlossen die Schächte, wurden verfüllt oder geflutet. Der Schauschacht Wettelrode ist nun der letzte zu befahrende Schacht im Revier - eine Rarität.

Die meisten der Stollen, die die Gruppe durchqueren muss, um den großen Dom der Elisabethschächter Schlotte zu erreichen, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in den Fels getrieben. Die Gänge scheinen unendlich zu sein. Die Grubenlampen bündeln ihr Licht zu einem riesigen Kegel, der den Stollen ausleuchtet. Manchmal ist es schwierig, den Erklärungen von Erich Hartung zu folgen. Die schweren Stiefel der Wathosen treffen bei jedem Schritt mit lautem Knall auf der Wasseroberfläche auf und übertönen seine Worte. Unter Wasser liegen Holzstücke, die ähnlich Schienenschwellen für den Transport der Grubenwagen (Hunte) gebaut worden waren. Jeder Schritt und die braune Soße wird so zum Abenteuer. "Vorsicht, man weiß nie, wo man hintritt", warnt Hartung. Manchmal ist ein leises Fluchen zu hören, irgendwo von weit hinten. Wahrscheinlich ist jemand wieder gestolpert oder hat sich am Felsen den Kopf gestoßen.

Die engen Gänge und tiefen Decken wirken bedrückend. Kaum vorstellbar, wer sie damals gegraben hat und mit welcher Technik. Die hier einst schufteten, waren oft noch Kinder, gerade mal 15 oder 16 Jahre alt. Im Gänsemarsch geht es langsam voran. Hartungs Anweisungen und Erklärungen werden von Mann zu Mann weitergegeben. "Ich muss aus den Klamotten raus." Jens Sacher wirft seinen Rucksack auf einen Vorsprung im Fels und beginnt, sich den Pullover über den Kopf zu ziehen. Nach vier Kilometern Fußmarsch wird allen klar, dass sie viel zu warm angezogen sind. Die Anstrengungen der unwegsamen Strecke sind selbst bei 16 Grad schweißtreibend. Der Hallenser ist groß, hat mit 1,60 Meter Firsthöhe Schwierigkeiten. 300 Meter geduckt waten und dabei den Kopf schräg halten strengt an. Inzwischen ist die Gruppe geschlagene drei Stunden unterwegs. Die Stiefel graben sich bei jedem Schritt tief in den Schlamm. Die Querhölzer im Gonnaer Stollen machen die Strecke zum Hindernisparcours. Die Gesichter sind schmutzig. Je näher das Ziel rückt, desto enger wird es. Im Altbergbau gab es noch keine Maschinen. Alles passierte manuell, in jedem Meter steckt der Schweiß von Bergleuten. Zehnmal im Jahr wird im Schnitt nach der Tour zu Elisabethschächter Schlotte verlangt. Meist sind es Leute, die am Bergbau interessiert sind, oder Hobbymineralogen. "Manche haben einfach nur Lust, ein Abenteuer zu erleben", erklärt Erich Hartung, "und das bekommen sie hier. Der Weg ist anstrengend, aber das, was man zu sehen bekommt, wiegt alles wieder auf", verspricht er.

Seit der Bergbau im Mansfelder und Sangerhäuser Raum nicht mehr existiert, geht das Wissen um ihn mit den Generationen verloren. Intension solcher Führungen ist es auch, das Interesse am Bergbau wieder zu wecken. "Nur wer einmal mehrere Stunden in den engen Stollen verbracht hat, kann nachvollziehen, was die Kumpel damals geleistet haben. Wenn jeder Einzelne nur kurz auf dem Heimweg darüber nachdenkt, haben wir erreicht, was wir wollten", erklärt Hartung.

Niemand der bunt zusammengewürfelten Leute hatte bis dahin direkten Bezug zum Bergbau. Andreas Bemmann aus Teicha ist Krankenpfleger, Thomas Strache aus Wippra wird Lehrer, Jens Sacher aus Halle ist MSR-Mechaniker und Jaqueline Nolte Verkäuferin. Irgendwie schweißen vier Stunden in der Dunkelheit Fremde zusammen. Der Handgriff zum Hintermann, die Hilfestellung beim nächsten Hindernis regen zum kurzen Gedenken an die an, die hier jeden Tag beim Schein der Grubenlampe gearbeitet haben. Am Ende des Gonnaer Stollens ist der weitere Weg verschüttet. Nur ein 70 Zentimeter großes Loch führt zu einem Hohlraum. Auf dem Bauch, das Gepäck vor sich herschiebend, legt jeder seinen eigenen Endspurt ein. Endlich wieder stehen. Der riesige glockenförmige Dom verschlägt allen den Atem. Die Führer haben Teelichter in den Nischen im Gips platziert. Die schneeweißen Alabasterknollen glänzen im Kerzenschein. Die Karsthöhle ist sieben Meter hoch. Sie besteht aus weiteren Hohlräumen, die nur auf dem Bauch durch enge Nischen zu erreichen sind. Wasser hat sich über Jahrhunderte in den Gips gegraben. Oft stieß man zufällig auf die Hohlräume. Jedoch sah man solche Entdeckungen eher pragmatisch. Man brauchte den Abraum nicht mehr nach oben zu befördern. Einige Bergarbeiter haben sich an den Wänden verewigt.

Nun sitzen alle Mitglieder der Gruppe auf der Erde, haben Brote und Thermoskannen ausgepackt. Die vielen Teelichter tauchen den Raum in ein warmes Licht. Keiner kann leugnen, beeindruckt zu sein. Keiner denkt momentan an die vier Stunden Rückweg.

Der scheint irgendwie einfacher. Wahrscheinlich deshalb, weil sich jeder einzelne langsam eine Technik angewöhnt hat, wie man die Hindernisse im Wasser ertastet und, ohne auf ihnen auszurutschen oder darüber zu stolpern, überwindet. Inzwischen sind acht Stunden vergangen. Erich Hartung hat irgendwo eine Flasche Schachtschnaps deponiert. Jetzt sind alle noch viel müder. Der Förderkorb ruckt an. Die Gesichter sind schlammverschmiert, die Grubenlampen leuchten nur noch schwach. Oben ist ein heller Punkt zu erkennen, der schnell näher kommt. Tageslicht.