Das Gold der Karpaten
Jeder wird bald Mercedes fahren, sagen welche. Ein See voller Gift wäre der Preis dafür. Doch welche Wahl hat man hier schon?
Von Philipp Lichterbeck, Rosia Montana
Als Hauptquartier haben sich die Cowboys ein Gebäude am Dorfplatz ausgesucht. Sie haben es gestrichen, das Dach repariert und drei Flaggen vor den Eingang gestellt. Die kanadische, die rumänische und die der EU. Zuletzt haben sie ein Schild an der Frontseite angebracht: Rosia Montana Gold Corporation, RMGC. Davor parken bullige japanische Geländewagen. Sie wirken wie von einem anderen Planeten in Rosia Montana, wo Pferdefuhrwerke keine Seltenheit sind und die Menschen am Ortsausgang auf Mitfahrgelegenheiten hoffen, weil Busse nur noch sporadisch verkehren.
Doch die Cowboys haben versprochen, das Transportproblem zu lösen. So wie sie versprochen haben, jedes Problem in Rosia Montana zu lösen. Wenn, ja wenn man sie nur endlich an den Schatz heranließe, auf dem die 2500 Einwohner des Karpatendorfes sitzen, das in einem Hochtal inmitten von Laubwäldern und blumenreichen Wiesen gelegen ist. „Es sind die größten Goldvorkommen Europas“, schreit Gary O’Connor, „es wäre genug, damit hier jeder einen Mercedes fährt.“ O’Connor steht neben einem Diamantbohrer, der sich unter lautem Dröhnen in den Waldboden schraubt. Rund um den acht Meter hohen Bohrturm liegen zersplitterte Baumstämme. „No Problem“, ruft O’Connor. „Wir räumen das auf.“ Der Neuseeländer ist Chef der Erkundungsabteilung der RMGC. Mit seinem kantigen Kopf und der breiten Brust ginge der 44-Jährige auch als Rugby-Spieler durch.
Er hat schon für Minenkonzerne in Papua-Neuguinea und Peru gearbeitet. Nun leitet er die Probebohrungen in den Wäldern rund um Rosia Montana. „Wir sind jetzt bei 276 Metern“, sagt O’Connor. Der Bohrer ändert die Drehrichtung, Wasser schießt aus dem Bohrloch hervor, dann gleitet eine Metallröhre aus der Erde. Arbeiter lösen behutsam einen grauen Steinzylinder heraus. O’Connor beugt sich hinunter und hebt den Daumen. Er grinst bei der Frage, warum kein Gold zu sehen sei. „Pro Tonne Erdreich gibt es eineinhalb Gramm.“ O’Connor wird die Probe analysieren und dann einen Bericht an die Firmenleitung schicken. Fast immer zieht er positive Bilanz über die Goldvorkommen. „Das ist gut für den Aktienkurs“, sagt er. „Es sollte Feststimmung herrschen. Rosia Montana ist das neue Eldorado.“
Fragt man die Menschen in Rosia Montana, ob sie froh darüber sind, in Eldorado zu wohnen, dann werden ihre Augen düster. „Das Gold ist verflucht“, sagen sie. „Es hat uns immer nur Unglück gebracht. Jetzt hat es sogar das Dorf entzweit.“
Ioan Mera, der orthodoxe Pope, kennt sich aus mit Goldräuschen. „Ach“, seufzt er. Er steht im Garten hinter seinem Haus, er sagt: „Sie glauben, dass man mit Geld alles kaufen kann.“ Gemeinsam mit Katholiken und Protestanten hat er sich gegen das Minenprojekt ausgesprochen. Der Vorschlag der RMGC, mehrere Kirchen und Friedhöfe dem Erdboden gleichzumachen, erschien allen ungeheuerlich. „Die Cowboys haben unsere Gastfreundschaft schon reichlich strapaziert“, sagt Mera. „Die Toten ausgraben! Das hat sich noch keiner getraut. Nicht mal Kommunisten.“
Seit über 2000 Jahren ziehen die Goldräusche über Rosia Montana wie Stürme hinweg, das Gold bleibt, wenn der Wind nachlässt, immer woanders liegen. Erst trieben die Römer Schächte in die Berge. Jahrhunderte später holten sich die österreichisch-ungarischen Herrscher, was die Römer übrig gelassen hatten. Nach dem letzten Weltkrieg errichteten dann die Kommunisten oberhalb des Dorfes einen kleinen Tagebau. Dort wird auch heute noch jeden Tag um 14 Uhr gesprengt. Dann donnern schwere Laster durchs Dorf. Im Tal werden die Steine zertrümmert. Heraus kommen vor allem Verluste. Und ein cadmiumverseuchter Bach mit dem pH-Wert einer Autobatterie. Die Staatsfirma Minvest scheint vor allem zu existieren, um 510 Kumpeln Arbeit zu geben. Die können jedoch wie die meisten Menschen hier auch nur überleben, weil sie noch etwas Land und Tiere besitzen.
Vielen erschien es da wie ein Segen, als 1997 die Manager der RMGC nach Rosia Montana kamen. Wir bringen Arbeitsplätze, sagten sie. Schaut euch doch um, es gibt keine Telefone und nachts fließt kein Wasser. Eure Straßen sind voller Löcher, eure Fabriken Schrott und schon euren Kindern fallen die Zähne aus.
Die RMGC will hier die größte offene Goldmine Europas bauen. Vier Berge will man dafür pulverisieren, hochgiftiges Zyanid soll das Gold aus dem Gestein lösen. Die Zyanidschlacke, so der Plan, soll in einem benachbarten Tal gelagert werden. Den Giftsee, der entstünde, würde ein 185 Meter hoher Damm sichern.
Die Menschen, die auf dem betroffenen Land leben, müssten umgesiedelt werden. Doch dafür werde man 400 Jobs schaffen. Und am Ende, nach 17 Jahren Schürfzeit, so das Versprechen der Manager, werde man 300 Tonnen Gold und 1600 Tonnen Silber gefördert haben.
Rumäniens Regierung schien zunächst beeindruckt. Sie sah darüber hinweg, dass die RMGC zu 80 Prozent in der Hand des kanadischen Unternehmens Gabriel Resources war, das noch nie eine Mine betrieben hatte. Auch, dass Gabriel Resources von einem Vorbestraften gegründet worden ist, schien kein Grund zur Sorge. Nur der Plan mit dem Zyanidsee weckte schlechte Erinnerungen. In Baia Mare nördlich von Rosia Montana war im Jahr 2000 ein solcher Zyanidstausee geborsten. 100000 Kubikmeter verseuchtes Wasser flossen in die Theiß und in die Donau. Millionen Fische starben, die Trinkwasserversorgung für Tausende Menschen war gefährdet. Bis heute klagen die benachbarten Ungarn auf Schadenersatz. Also schob die Regierung eine Entscheidung über Rosia Montana auf die lange Bank und wartete auf die Machbarkeitsstudie der RMGC. Doch die kommt nicht.
Stattdessen hat die RMGC damit begonnen, Grundstücke zu kaufen. Sie lockt mit Summen von 30000 bis 100000 Dollar und einer Anstellung. Fast 40 Prozent des benötigten Landes hat sie schon erworben.
„Wie oft standen sie schon bei mir vor der Tür und haben gesagt, dass ich gehen muss.“ Eugen David sitzt auf einer frisch gemähten Wiese und raucht eine Zigarette. In einiger Entfernung rechen seine Frau, seine Mutter und seine Tochter das Heu zusammen. Sie tragen bunte Kleider und Kopftücher. „Wenn ich im Gras bin, sind die Banditen für mich weit weg“, sagt David. Er meint die Leute von der RMGC. Männer aus der Umgebung, die zu den Bauern gehen und sagen: „Es hat keinen Zweck, verkauf lieber gleich.“ David sagt: „Ich musste ihnen schon mehrmals die Zacken meiner Mistgabel zeigen. Einmal drohten sie, mir die Kehle durchzuschneiden. Ich warte bis heute drauf.“
David ist 38 Jahre alt, er ist der erfolgreichste Bauer in Rosia Montana. Er hat 30 Kühe, 20 Schafe und acht Schweine. Er baut Zwiebeln, Bohnen, Rote Beete und Mais an. Sein Land ist für die RMGC unerlässlich. Doch David schwört: „Sie kriegen es nur über meine Leiche.“ David ist Präsident der Bürgerinitiative Alburnus Maior. Sie repräsentiert 350 Familien, die sich weigern zu verkaufen. Insgesamt will die RMGC 900 Familien umsiedeln.
Längst nicht alle sind so gelassen wie David. Andere Bauern berichten von Schlafstörungen und Depressionen. Den eigenen Vater hat Eugen David schon zur Psychiatrie in die Kreisstadt gefahren. Dort habe die Anstaltschefin die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, erzählt er. Sie müsse in letzter Zeit so viele Menschen aus Rosia Montana behandeln, was da denn los sei?
Gary O’Connor hätte ihr wahrscheinlich geantwortet, es ist die Angst vor dem Unbekannten. Ioan Mera hätte erwidert, das Gold hat die Seelen der Menschen verschmutzt. Eugen David hat gesagt: „Es ist der Terror.“
Stephanie Roth kommt in zerrissenen Hosen und Wanderstiefeln auf den Dorfplatz gerauscht. Einige Alte auf der Bank vor dem Lebensmittelladen grüßen sie, andere schauen weg. Roth ist 34, Schweizerin, sie wohnt im Büro von Alburnus Maior, das in einem windschiefen Bauernhaus untergebracht ist. An den Wänden hängen Karten der RMGC, an die sie „halt irgendwie“ geraten ist. „Meine beste Waffe ist ein Modem“, sagt Roth. „Wahrscheinlich haben sie mir deshalb das Telefonkabel zerschnitten. Und verprügelt haben sie mich auch.“ Per Internet ist es Roth gelungen, den Widerstand gegen die RMGC zu internationalisieren. Alburnus Maior erhält Geld von Stiftungen aus Westeuropa und Nordamerika.
Roth attackiert die RMGC an ihrem schwächsten Punkt: der Aktienfinanzierung. In einem Bericht von Gabriel Resources hatte sie Hinweise darauf gefunden, dass die Firma selbst an der Verwirklichung des Projekts zweifelte. Nach der Veröffentlichung rasten die Aktien des Unternehmens in den Keller.
Als Roth am verwilderten Bolzplatz im Tal vorbeigeht, fliegt ein Ball durchs netzlose Tor. Sie hält ihn fest. „Und du?“, fragt sie den herbeieilenden Fußballer. „Für oder gegen die Cowboys?“ Der Mann verzieht das Gesicht. Roth reicht ihm eine Zigarette. „Natürlich dafür“, sagt er. Der Mann ist Hilfsarbeiter bei der RMGC. „250 Euro sind ’ne Menge Geld“, sagt er. Roth fragt, wie er es finde, dass alles zerstört wird. „Wir leben doch schon in einer zone mort“, sagt er – einer toten Zone. „Die jungen Menschen haben keine Arbeit. Mein Vater produziert einen Liter Milch zu 55 Cent. Er verkauft ihn für 50. So will ich nicht leben.“ Ob er nicht Eugen David kenne, den erfolgreichen Bauern. „Was weiß denn der schon? Ich respektiere die Gegner. Aber ich will, dass die Mine gebaut wird. Ich will ein Haus, einen Harem und ein Auto.“
Quelle: Tagesspiegel Online