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WELTKULTURERBE / Die Unesco droht der Essener Zeche Zollverein mit der Roten Liste

 

Alle Räder stehen still

So wurde nicht gewettet: Maschinen im wichtigsten Industriedenkmal des Ruhrgebiets wandern auf den Schrott, um neuen Nutzern Platz zu schaffen. 

 
 

 

Autor: IRMGARD BERNRIEDER

Auf die rote Liste der gefährdeten weltkulturerbe-Stätten droht die Zeche Zollverein in Essen zu rutschen. Im Vorfeld des für März 2005 angekündigten Unesco-Berichts verdichten sich im Land kritische Stimmen von Denkmalschützern. Wie allen 30 Objekten in Deutschland, die den Titel Weltkulturerbe tragen, wurde auch der Zeche Zollverein vom Internationalen Rat für Denkmalpflege (Icomos) ein Monitor zugewiesen. Es ist der Darmstädter Industriearchäologe Rolf Höhmann, der sich kürzlich mit ungewohnter Schärfe zu den Vorgängen auf Zeche Zollverein äußerte. Er erinnert daran, dass Denkmale der Technik und Industrie repräsentative Zeugen unserer Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sind. Das Kunststück besteht darin, ein Neunutzungskonzept zu finden, das mit dem oftmals engen Funktionszuschnitt des Industriedenkmals vereinbar ist, das Erhaltbare so auszugestalten, dass es zu einem repräsentativen Gesamtbild führt. Nur so sind Authentizität und Substanz zu retten.

Schmerzhafter Spagat

Ganz entgegen dieser Zielsetzung werde auf Zeche Zollverein Umnutzung auf Biegen und Brechen betrieben. Zugunsten geschönter neuer Locations würden schützenswerte Anlagen aufgegeben. Vorrangig moniert Höhmann in seiner Stellungnahme, wie Salzlager und Kohlenwäsche zugerichtet würden. Ziemlich schwarz sieht dem Vernehmen nach auch der jüngste Rapport, den Icomos-Weltpräsident Wolfgang Petzet in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten legt seinen Finger in ebendiese Wunde: Gerade jene Substanz, die durch den Titel „Weltkulturerbe“ geschützt werden solle, werde zerstört. „Die falschen Nutzungskonzepte im falschen Bau“, so seine Einschätzung, und es meint damit die Unterbringung des künftigen Ruhrmuseums in der alten Kohlenwäsche, jener „als Gebäude verkleideten Maschine“. Den „schlimmsten Fall“ wünscht der imposanten Anlage niemand, aber die jüngsten Einsprüche legen nahe, dass Politiker und Entwicklungsgesellschaft Zeche Zollverein (EGZ) mit diesem Schuss vor den Bug der einst größten und schönsten Zeche weltweit rechnen müssen.

Besonders auch der internationale Star-architekten Rem Koolhaas mit seinem Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA), das beim Umbau der Kohlenwäsche eng mit dem Essener Architekturbüro Böll zusammenarbeitet. Zentrale Teile der Maschinerie, in der einst das schwarze Gold sortiert wurde, sind mittlerweile zerstört, um dem Ruhrmuseum Platz zu machen, das die Bestände des jetzigen Ruhrlandmuseums aufnehmen und Besuchern anhand der erhaltenen Maschinen den Weg der Kohle veranschaulichen soll. Bei diesem Spagat zwischen denkmalpflegerischen und musealen, regionalen und globalen Ansprüchen ist den wenigsten Fachleuten wohl in ihrer Haut. Grundsätzliche Bedenken: Qualität und Quantität der Räume, die für Ausstellungen, Depots, Werkstätten und Büros zur Verfügung stehen, reichten hinten und vorne nicht aus. Museum und Maschinen stünden in klarer Konkurrenz zueinander.

Bagger räumen auf

Einige Fachleute werfen ein, dass es zu rechtfertigen sei, weniger Maschinen zu erhalten, da sie nicht technikgeschichtlich, sondern nur in ihren Dimensionen einzigartig seien. Ulrich Borsdorf, Direktor des Ruhrlandmuseums und designierter Leiter des Ruhrmuseums, gibt schließlich zu bedenken, dass die Kohlenwäsche nur fortbestehen könne, wenn sie einer Nutzung zugeführt werde, und hierzu bedürfe es ihrer Transformation. Während also in der Kohlenwäsche mit Baggern und grobem Gerät Tatsachen geschaffen werden, die den Denkmalschützern die Tränen in die Augen treiben, treffen sich am 3. Dezember zum zweiten Mal Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, um zu erkunden, was das Ruhrmuseum sein solle.

Anders als beim Kölner Dom, der im November des Vorjahres als bedrohtes Weltkulturerbe für ein heftiges, aber kurzes Medienecho sorgte, hätte es für das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Essen weiter reichende Folgen, wenn das prestigeträchtige Projekt „ZZ“ auf die rote Liste der Unesco käme. Das würfe nämlich über die aktuelle Kritik der Denkmalschützer hinaus andere Fragen auf. Etwa die, warum zum einen Minister Michael Vesper als Vorsitzender des Aufsichtsrates in der Entwicklungsgesellschaft (EGZ) den Scheinaktivitäten der EGZ nicht früher ein Ende gesetzt und ihre Geschäftsführer, Wolfgang Roters und Stefan Schwarz, erst kürzlich entlassen hatte. Roters, so muss man wissen, kam aus dem Städtebauministerium, dem Vesper vorsteht, nach Essen. Und mit Roters' Ausscheiden gab der Minister seinen eigenen Rücktritt vom Vorstandsposten des EGZ-Aufsichtsrats bekannt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Zum anderen müssten sich Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger und die Vertreter der Ratsfraktionen die Frage gefallen lassen, warum sie in den letzten drei Jahren ihren kritischen Einwänden keine Taten folgen ließen. Immerhin will das Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt 2010 werden, und die Stadt Essen hat sich mit ihrem „Pfund“, der Bauhaus-Zeche, an die Spitze der Bewerbung gestellt.

Ein schweres Erbes tritt offensichtlich Architekt Roland Weiss an, der am 1. Dezember als EGZ-Geschäftsführer Wolfgang Roters und Stefan Schwarz nachgefolgt ist. Von einer „neuen Phase der Entwicklung“ ist in der offiziellen Verlautbarung des Landes NRW, der EGZ und der Stadt Essen die Rede. Was die wenigsten wissen: Dreieinhalb Jahre nach EGZ-Gründung ist immer noch kein Center-Management auf Zeche Zollverein installiert. Die ursprünglich für 2005 geplante Weltdesign-Ausstellung nach dem Konzept von Designprofessor Peter Zec wurde bereits um ein Jahr verschoben. Bleibt noch das Vier-Sterne-plus-Hotel, das nach dem kühnen Plan des Essener Architekturbüros Koschany und Zimmer in den einstigen Kühltürmen der Zeche errichtet werden soll. Gäste aus aller Welt, die 2006 zu Designforum und Fußballweltmeisterschaft ins Ruhrgebiet reisen werden, sollen hier eine außergewöhnliche Unterkunft finden.

Im Kühlturm logieren

Das Konzept sieht vor, in den beiden denkmalgeschützten achteckigen Stahlkonstruktionen der alten Kühltürme Glasbauten mit jeweils elf Geschossen zu errichten. Von einer Dachterrasse in 60 Meter Höhe hätten Gäste die schönste Aussicht übers Ruhrgebiet. Aber noch ist kein Investor gefunden. In Kürze wird das Konzept in Dubai präsentiert. „Der Zeitraum für die aufwändige Baumaßnahme ist außerordentlich eng“, räumt Michael Ricken von Koschany und Zimmer ein, aber man gebe die Hoffnung nicht auf.

Um die Entwicklung des Weltkulturerbes in ruhigeres Fahrwasser zu manövrieren, läuft derzeit eine europaweite Ausschreibung; gesucht werden ein Marketingdirektor, der mit einem Etat von 3,1 Millionen etwas fürs Image des Weltkulturerbes tun soll, und fünf international erfahrene Kuratoren für die erste Design-Documenta.

Den Kern der gigantischen Industrienekropole des 20. Jahrhunderts zu erhalten und dennoch ein lebendiges Experimentierfeld für Kreative zu öffnen, das wirtschaftlichen Erfolg hat und breite Bevölkerungsschichten anzieht, ähnelt der Quadratur des Kreises. Aber nur wenn dieses Ziel erreicht wird, kann das Weltkulturerbe Zeche Zollverein überdauern und irgendwann im vierten Jahrtausend so fremd und prachtvoll wie das antike Pantheon im heutigen Rom in der Global City Ruhr stehen.

Leitprojekt

Von 1929 bis 1932 haben Fritz Schupp und Martin Kremmer die Zeche Zollverein im Bauhaus-Stil errichtet; auf Schacht XII wurde bis 1986 Kohle gefördert. Die Internationale Bauausstellung Emscherpark nahm die imposante Bergbauanlage nach ihrer Stilllegung als Leitprojekt für den Strukturwandel im Ruhrgebiet auf, und 2001 wurde sie als Weltkulturerbe geadelt. Für die Umnutzung des 100 Hektar großen Geländes wurden 142 Millionen Euro bewilligt. Die EU stellt 70 Millionen Euro zur Verfügung, die allerdings zurückgezahlt werden müssen, wenn sie nicht fristgerecht bis 2006 ausgegeben sind.

Quelle: Rheinischer Merkur
http://www.merkur.de/aktuell/ku/ku_044904.html